Dienstag, 14. August 2012

Leseprobe 1

Panikartig lief ich zur Tür und schloss sie. Das konnte nicht sein! Hilflos fuhr ich mir durch die strubbeligen Haare. War etwa in den zwei Stunden, in denen ich geschlafen hatte, jemand ins Haus eingedrungen? Ein übermächtiges Gefühl der Angst übermannte mich und ich fing leise an zu wimmern. Wenn doch nur Alex hier wäre! Mir fielen wieder die Worte ein, die auf dem Drohbrief standen. Genießen Sie die Ferien, es könnten Ihre letzten sein. Sollte etwa diese Morddrohung heute wahr gemacht werden?
Ich schnappte mir das Telefon, rannte wie von Hunden gehetzt ins Schlafzimmer und schloss mich ein. Alex war nicht erreichbar. Wen sollte ich also um Hilfe bitten? Babs oder Sabine? Nein, ich brauchte männlichen Schutz. Jan! Natürlich, er würde mir sofort helfen. Dummerweise hatte ich sämtliche Telefonnummern meiner Kollegen im Arbeitszimmer. Das Telefon läutete wieder und ich warf es vor Schreck auf die Bettdecke, wo ich es klingeln ließ. Ich wusste ja, dass es der anonyme Anrufer war. Meine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Ich musste Jan dazu bringen, zu mir zu kommen, und stürmte samt klingelndem Telefon ins Arbeitszimmer, schloss hinter mir ab und suchte mit fliegenden Fingern in meinem Adressbuch nach seiner Nummer. Ich zitterte so sehr, dass ich kaum fähig war zu wählen. Es kam mir wie eine Ewigkeit vor, bis er endlich abhob und „Fenrich!“ in den Hörer grunzte.
„Jan, Gott sei Dank, du bist da!“, flüsterte ich.
„Wer ist denn dran? Es ist drei Uhr nachts, verdammt noch mal.“
„Ich bin es, Isabel. Kannst du zu mir kommen? Ich drehe fast durch vor Angst. Ich glaube, es ist jemand im Haus“, wisperte ich leise.
„Isabel?“ Seine Stimme klang jetzt schon wacher. „Wer ist im Haus? Was redest du da?“
„Bitte, Jan, komm her. Ich erkläre es dir, wenn du da bist“, flehte ich ihn weinerlich an, „bitte, du bist meine letzte Hoffnung.“
„Schon gut. Beruhige dich. Ich komme, so schnell ich kann.“
Schlotternd vor Angst kauerte ich, mit einem spitzen Brieföffner bewaffnet, auf meinem Schreibtischstuhl und lauschte angestrengt nach draußen. Kein Laut war zu hören. Plötzlich hörte ich ein Knacksen und mein Herz fing wie wild an zu pochen. Es befand sich doch jemand hier! Ich saß wie gelähmt da und starrte gebannt auf die Türklinke, ob sie sich bewegte. Doch nichts geschah. Es herrschte wieder diese unerträgliche, bedrückende Stille. Ein Gefühl von grenzenloser Einsamkeit und Ausgeliefertsein nahm Besitz von mir und stürzte mich in tiefe Verzweiflung. Wenn doch Jan endlich käme!
Ich weiß nicht, wie lange ich auf diesem Stuhl, die Tür anstarrend, verharrt hatte, als die Türklingel diese Stille zerschnitt. Ich zuckte heftig zusammen und war nicht fähig mich zu bewegen. War das Jan? Oder derjenige, der mir den Drohbrief geschrieben hatte? Die Klingel ertönte wieder, doch ich konnte mich nicht dazu überwinden hinauszugehen. Vielleicht rannte ich dann geradewegs in die Arme des Eindringlings! Die Klingel ertönte, um Einlass fordernd, noch zweimal hintereinander, aber ich blieb wie festgeklebt sitzen. Mein Handy klingelte und ich nahm es zitternd in die Hand.
„Jan ruft an“ las ich auf dem Display und nahm erleichtert ab.
„Jan?“
„Isabel, was ist los? Warum machst du die Tür nicht auf?“
„Ich, ich hatte Angst, es könnte jemand anderes sein. Ich komme“, sagte ich mit matter Stimme und ging zur Zimmertür. Langsam drehte ich den Schlüssel um und öffnete die Tür einen kleinen Spalt. Es war nichts zu hören. Leise trat ich mit dem Brieföffner in der Hand auf den Flur und sah mich um. Ich konnte nichts Ungewöhnliches entdecken, dennoch rannte ich so schnell wie möglich die Treppe hinunter zur Haustür. Atemlos nahm ich den Telefonhörer von der Sprechanlage und rief hinein: „Jan, bist du da draußen?“
„Ja, wer sonst! Ich bin bald tiefgekühlt, wenn du mich noch länger warten lässt!“
Ich riss die Tür auf und sah Jan mit verstrubbelten Haaren, roter Nase und besorgtem Dackelblick stehen.